Rede von #BundesBodo zum Schienenpersonennahverkehr auf dem „Mobilitätsparteitag“ der SPD Kreis Kleve

Rede von Bodo Wißen, Bundestagskandidat der SPD des Kreises Kleve, auf dem Unterbezirksparteitag „Mobilität“ der SPD Kreis Kleve am Samstag, 28. August 2021 im Konzert- und Bühnenhaus Kevelaer

Liebe Genossinnen und Genossen,

wie Ihr alle wisst, ist unser Motto für die Bundestagswahl: „Soziale Politik für Dich!“ Ich war von 2005 bis 2010 Landtagsabgeordneter und verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion NRW. Für mich ist Mobilität ein Grundrecht und eine zutiefst soziale Frage.

Nicht nur deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass im SPD-Zukunftsprogramm dieses wichtige Thema als Zukunftsmission „Modernste Mobilität Europas“ einen prominenten Platz einnimmt. Wir wollen, dass künftig die Menschen schnell und zuverlässig von A nach B kommen, am besten klimafreundlich, zum Beispiel mit Bus und Bahn. Mit einem „Mobilitätsplan 2030“ wollen wir vor allem den öffentlichen Nahverkehr und den Schienenverkehr stärken, so unser Zukunftsprogramm.

Aus eigenem jahrzehntelangen Erleben kann ich Euch berichten, dass wir auf diesem Weg noch sehr viel zu tun haben. Und wir stehen vor ganz neuen Herausforderungen, wie es so schön im Manager-Sprech heißt.

Seit meiner Schul- und Studienzeit, also seit dem Ende des letzten Jahrtausends, bin ich Pendler. Ich habe nachgerechnet und schätze, dass ich so 800.000 Kilometer auf Bahnschienen zurückgelegt habe. Das ist ein Mal bis zum Mond und zurück. Damit bin ich einer von 54.585 Kreis Klevern, die von ihrem Wohnort zu einem Arbeitsort fahren oder gefahren werden. Die Zahl stammt von der Wirtschaftsförderung des Kreises Kleve, ist drei Jahre alt, dürfte sich aber zumindest in Vor-Corona-Zeiten, nicht wesentlich verändert haben. In der ganzen Bundesrepublik sind es 30 Millionen.

30 Millionen von 82 Millionen Menschen in Deutschland pendeln mit dem Auto oder mit Bus und Bahn. Manchmal brauchen sie auch Kombinationen davon.

Zu wohl 90% bin ich Bahn gefahren. Meistens vom Haltepunkt Haldern, wie unser Bahnhof im Lindendorf, technisch lieblos heißt, nach Düsseldorf. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, habe ich schon alles erlebt, was man so als Bahnfahrender erleben kann. Anfangs durfte ich die Fahrt in so genannten „Silberlingen“ noch aus den sechziger Jahren genießen. Die heißen so, weil die Außenhaut des Wagens unlackiert war. Das hat noch ordentlich geruckelt, zumal die Polster der plastikummantelten weinroten Sitze in der zweiten Klasse immer durchgesessen waren, nach dem Motto: „Auf Du und Du mit der Sprungfeder“.

Das hat sich zum Glück mit der Zeit geändert: Die Zugbegleiter, wie die früheren Schaffner später genannt wurden, legten den Kasernenton ab und wurden freundlicher, die Züge wurden moderner, die Takte dichter und damit das Angebot besser. Der Absatz der Monatstickets der Verkehrsverbünde stieg. Wir waren auf einem guten Weg. Leider droht das alles verspielt zu werden.

Claas Tatje, Verkehrs-Redakteur der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, zitiert in seinem Buch „Fahrtenbuch des Wahnsinns“ eine Studie, nach dem der Stress, dem Pendlerinnen und Pendler ausgesetzt sind, mit dem Stresslevel eines Kampfpiloten vergleichbar wäre.

Regelmäßige Bahnfahrende können die Studie aus eigenem Erleben bestätigen. Wenn um 22:27 Uhr ab Gleis 7 in Düsseldorf der Zug ausfällt, weil wieder irgendeine Taube angeblich einen immensen Schaden verursacht hat.

Wenn du in den Ferien um 06:30 Uhr die Lieben aus dem Bett klingeln muss, weil die dich mit dem Auto vom Bahnhof Wesel abholen müssen, weil nichts mehr läuft und mal wieder ein wichtiges Gespräch deswegen verpasst werden könnte. Wenn Du auf freier Strecke im völlig überfüllten Waggon steckst und nichts mehr geht, alle Toiletten kaputt sind und du einfach mal musst. Wenn bei 28 Grad die Klimaanlage ausfällt, aber dafür die Heizung ordentlich bullert oder umgekehrt bei minus 10 Grad nichts mehr läuft und der Slogan der damalige Deutschen Bundesbahn: „Alle reden übers Wetter. Wir nicht.“ wie Hohn in den Ohren klingt, weißt du, dass Bahnfahren eine Tortur sein kann.

Natürlich ist das so platt daher erzählt ungerecht und auch sachlich nicht korrekt. Schließlich stehen PKW-Fahrende auch ständig im Stau. Könnt Ihr Euch noch an die Plakate der CDU zur Landtagswahl 2017 mit einem abgebildeten Lenkrad erinnern, in dem Bissspuren der Verzweiflung zu erkennen waren? Wenn man das zum Maßstab nimmt, hätten viele schon gar kein Lenkrad mehr zur Verfügung. Es wäre schon längst aufgefuttert!

Übrigens wird das im Staustehen angeblich langmütiger und großzügiger hingenommen als das auf den Zugwarten. Warum? Weil der Mensch Anderen lieber Vorwürfe macht als sich selbst. Die Erkenntnis: „Der Stau bin ich!“ reift eben nicht in jedem, der sich gleichmütig um 7:27 Uhr auf der A 3 am Kreuz Kaiserberg oder auf der A 57 bei Krefeld-Gartenstadt hinten anstellt.

Klar ist: Wenn wir die ehrgeizigen Klima-Ziele erreichen wollen, müssen wir massiv beim öffentlichen Personennahverkehr umsteuern. Auch während der härtesten Einschränkungen in Pandemie-Zeiten bin ich mindestens einmal in der Woche nach Düsseldorf gefahren. Insbesondere frühmorgens oder in den Abendstunden war das oft eine einsame Veranstaltung. Ich habe ein Foto auf meinem Smartphone, da ist niemand. Die Türen öffneten sich automatisch – gespentisch.

Verkehrsverbünde befürchten zurecht, dass auch in Zukunft viel weniger Menschen Busse und Bahnen nutzen werden. Zum einen bleiben viele gerne auch weiterhin auf Abstand, was in Bus und Bahn eben nicht gewährleistet ist und zum anderen werden auch nach der Corona-Krise viele öfter im Homeoffice sein, als das vor Corona der Fall war. Hinzu kommt die Unmöglichkeit, wenn dreihundert Leute gleichzeitig versuchen, in den einzigen greifbaren Bus des Schienenersatzverkehrs zu kommen, weil mal wieder der Zug ausgefallen ist.

Ich kenne mehrere Pendlerinnen und Pendler, mit denen man ja bisweilen eine Leidensgemeinschaft am Bahnsteig bildet, wenn mal wieder der Zug ausfällt, die nicht mehr bereit sind, schlechten Service hinzunehmen. Wenn die dann nur noch drei- oder gar zweimal in der Woche im Büro erscheinen müssen, ist die Kündigung des Monatstickets schnell abgeschickt, wenn sowieso ein zweiter PKW zur Verfügung steht. So erkläre ich mir jedenfalls die Entwicklung der letzten Monate, die etwa dazu führte, dass Firmenticket-Tarife erhöht werden mussten, weil sich viele Beschäftigte nicht mehr auf das zu oft gebrochene Beförderungsversprechen einlassen wollen.

Weitere Unsicherheiten zeichnen sich ab. Abellio und andere Töchter von ausländischen Staatsbahnunternehmen, die bei sich deutsche Bahnen übrigens oft nicht zugelassen haben, erklären uns nun, dass sie die Gehälter für ihre Zugbegleiter und LokführerInnen nicht mehr zahlen können. Als man die Angebote mit den Mondpreisen abgegeben habe, sei das ja alles so nicht vorhersehbar gewesen. Der NRW-Steuerzahler soll einspringen. Vielleicht gibt es bald nur Notbetrieb.

Das ist die Situation vor der wir stehen. Die ist so nicht hinnehmbar und erfordert politische Umsteuerung. Warum? Weil wir die Klimaziele mit dieser Art der Verkehrspolitik nicht einhalten werden. 1961 hat Willy Brandt den blauen Himmel über der Ruhr gefordert. 2016 hat unsere Bundestagsabgeordnete Dr. Barbara Hendricks als Bundesumweltministerin das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Der einzige Sektor, der die CO2-Minderungsziele nicht erreicht hat, ist der Verkehrssektor. Bei der Industrie, beim Bauen und Wohnen, da haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten Erfolge bei der CO2-Minderung erreichen können, nicht jedoch im Verkehrssektor.

Ein weiterer Grund: Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kann es nicht egal sein, wenn nur noch diejenigen, die sich kein eigenes Auto leisten können oder weil sie zu jung oder zu alt sind, Busse und Bahnen nutzen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der ÖPNV ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge ist. Von Delegationsreisen weiß ich: In der Schweiz fahren alle Bahn, in den Niederlanden und einigen anderen Ländern auch. Das hat was verbindendes, im wahrsten Sinne des Wortes.

Der öffentliche Personennahverkehr in Deutschland und in NRW darf nicht zur Resterampe des Mobilitätsangebots im 21. Jahrhundert verkommen!

Der ÖPNV war nie rein marktfähig und wird es nie sein, Stadtbäder, Krankenhäuser und Theater auch nicht. Kein Mensch würde danach fragen, ob sich ein Rathaus, ein Kreishaus oder ein Ministerium „rechnet“.

Wann hat das eigentlich angefangen, dass wir sagen, ein Bahnhof oder eine Bahnstrecke müssten sich rechnen? DB Netze schreibt DB Regio Rechnungen, DB Station und Service weiß nicht mehr, wem was am Emmericher Bahnhofsvorplatz gehört, DB Energie ist nur dann grün, wenn Datteln 4 abgeschaltet werden darf? Was für ein Irrsinn!

Wir haben die Nachtzüge abgeschafft und wenige Jahre später zeigt uns die Österreichische Bundesbahn, wie man sogar Gewinne damit macht und kriegt dafür Beifall von EU-Kommission und EU-Parlament. Für diese „grandiose“ Management-Leistung der Millionäre im Staatsunternehmen DB AG, zu denen der Bundestags-Flüchtling Ronald Pofalla gehört, zahlen die SteuerzahlerInnen Millionenbeträge an Jahresgehalt!

Im Rückblick halte ich die Bahn-Privatisierung von 1994 für einen Fehler.

Vielleicht hat auch hier Corona zu einer neuen Betrachtungsweise geführt. Ich prophezeie die Rückkehr zu einer neuen Staatlichkeit.

Die Sicherheit, die Zuverlässigkeit, dass Menschen in Bussen und Bahnen zur Arbeit, ins Kino oder nach Hause kommen, ist ein hohes, beachtenswertes und schützenswertes Gut. Die Menschen können von der SPD erwarten, dass sie das weiß. Deswegen ist der Antrag A 1 sehr richtig und bildet eine gute Grundlage für weitere Diskussionen. Wir sollten ihn mit voller Überzeugung verabschieden.

30 Millionen Deutsche pendeln, wir von der SPD sollten dafür sorgen, dass sie dies möglichst mit Bussen und Bahnen tun. Eine große Aufgabe, für die ich mich im Bundestag gerne einsetzen will.

Vielen Dank und bis neulich am Bahnsteig!

Text: Bodo Wißen